Lange hat es gedauert. Sehr lange sogar. Neun Jahre nach der erstmaligen Vorstellung des Rhino Side-by-Side bringt Yamaha endlich ein würdiges Nachfolgemodell. (Klassik-Test der Yamaha Viking aus dem Jahr 2013)
Der Viking FI 4×4 verfügt über Merkmale, die ihn erheblich von der Konkurrenz unterscheiden. Die Yamaha-Marketingstrategen kreieren aus diesem Grund ein völlig neues Fahrzeugsegment – das ROV.
Die teils sehr langen Flüge in alle Regionen dieser Welt zu den Präsentationen der neuen Modelle der Hersteller sind wirklich aufreibend. Aber mal ganz ehrlich, wenn Yamaha eine Einladung zur Pressevorstellung des brandneuen Modells Viking in die USA schickt, ist auch bei uns in der Redaktion helle Aufregung angezeigt. Wer darf hin? Wer hat Platz im Terminkalender? Ich freu mich wie ein Schneekönig, der Redaktionschef hat anderweitige Verpflichtungen, also komme ich seit langem mal wieder in den Genuss, einen Yamaha-Event zu besuchen. Ein Omen, so scheint es mir, war ich doch auch im Jahr 2004 der entsandte Redakteur der Quadwelt zur Vorstellung eines damals revolutionär anmutenden Offroad-Vehikels, dem Yamaha Rhino. Ich erinnere mich, als wär es gestern gewesen. Pressevertreter von mindestens zehn europäischen Magazinen wurden nach Norwegen gekarrt, um dort ein Fahrzeug zu sehen, dem viele der anwesenden Redakteure zunächst so gar nichts abgewinnen konnten. Für ein ATV viel zu breit, zu schwer, und überhaupt. Das Jäger-Mobil, wie der Rhino schnell betitelt wurde, hat nach zweitägiger Hatz durch die norwegische Wildnis alle restlos von seinen Offroad-Fähigkeiten überzeugt. Und die Ladefläche? Praktisch, weil man endlich auch mal mehr als einen Rucksack mitnehmen konnte. Der Rhino hat weltweit eine völlig neue Fahrzeugkategorie etabliert, das UTV (Utility Vehicle) oder auch Side-by-Side.
Yamaha hat diese Gattung nicht erfunden. John Deere und weitere amerikanische Hersteller hatten bereits ähnliche Konzepte im Portfolio. Yamaha war allerdings der erste Anbieter, der ein solches UTV ganz bewusst auch für die Nutzung im Freizeitsektor anbot. Dazu passten die Fahrleistungen, insbesondere im Gelände, die für jede Menge Adrenalin sorgten. So dauerte es dann auch nicht lange, bis sich in den USA erste Rennserien speziell für diese Fahrzeugkategorie etablierten. In den folgenden Jahren sprangen immer mehr Hersteller auf die UTV-Welle auf. Allerdings entwickelte sich neben den echten Allzweck-Offroadern eine ganz eigene Sparte, die den sportlichen Ambitionen der Kundschaft gerecht werden wollte. Den aktuellen Stand der Entwicklung zeigen zum Beispiel die Modelle von Arctic Cat, Can-Am oder Polaris, die jeweils mit rund 1000 Kubikzentimeter-Motoren und Leistungsdaten von teilweise über 100 PS die Racing-Fraktion ansprechen. Bei Yamaha wurde der Rhino über die Jahre lediglich modellgepflegt. Das größte Update erfuhr das „Nashorn“ mit der Umstellung von 660 auf 700 Kubikzentimeter Hubraum. Das entsprechende Aggregat wurde vom Grizzly-ATV übernommen. Bei der alles in allem wirklich hohen Einsatzspanne und guten Fahrleistungen konnte sich der Rhino über Jahre am Markt behaupten. Aber irgendwann ist auch das größte Horn abgewetzt. Von der Händler- und Kundschaft eigentlich schon lange erwartet, hat Yamaha nun also endlich reagiert und ein neues Modell geschaffen, das an alte Tugenden anknüpfen und neue Perspektiven eröffnen soll.
Amerikanischer Wickinger
Schauplatz diesmal ist die Red Reflet Ranch im US-Bundesstaat Wyoming. Die Pressekollegen aus den USA waren ein paar Tage vor uns da. Aus Übersee sind ausschließlich französische und deutsche Medienvertreter eingeladen. Die Anreise wie immer abenteuerlich, dreimal muss das Fluggerät gewechselt werden, wobei je näher der Zielort kommt, desto kleiner die Flugzeuge werden. Zuletzt findet sich die kleine deutsche Reisegruppe in einer Beechcraft mit gerade mal 15 Sitzplätzen wieder. Am Steuerknüppel eine augenscheinlich 25-jährige mit breitem Grinsen und richtig viel Spaß am Job. Rodeo wäre ihr Hobby…! Nach rund 24 Stunden kommen wir spät am Abend am Ziel an. Die Orientierung haben alle schon lange verloren. Egal, ein Bett und nur noch schlafen. Am frühen Morgen wird es ernst. Ein kurzes Frühstück im Ranch-House und wir kommen zum ersten mal in Kontakt mit dem Viking – allerdings nur in digitaler Form. Die übliche Multimedia-Vorführung gibt Auskunft über das neue Modell. Die wichtigsten Fakten und Daten fasse ich im Folgenden zusammen.
Side-by-Side-by-Side
Wie soll man sich im immer größeren Angebot an Side-by-Side-Fahrzeugen noch hervorheben? Die namhaften Mitbewerber definieren ihre Spitzenmodelle über Leistungsdaten. Dem hat Yamaha mit dem im Viking verwendeten Motor des Grizzly-ATV mit weniger als 50 PS kaum etwas entgegenzusetzen. Dennoch, der Viking ist wie sein Vorgänger Rhino eine kleine Revolution im Offroad-Segment. Drei Sitze bestimmen den vornehmlichen Zweck, nämlich mehr als zwei Personen eine komfortable, aber auch aufregende Geländefahrt zu ermöglichen. Und damit da auch keine Verwechslungsgefahr aufkommt, nennt Yamaha den neuen Viking „Vielzweck-ROV“. Die Abkürzung steht für Recreational Off-Highway Vehicle, was ins Deutsche übersetzt so viel heißt wie Freizeit-Geländefahrzeug. OK, wir werden uns noch dran gewöhnen. Schauen wir mal was das ROV sonst noch zu bieten hat. Yamaha nennt die Highlights kurz und knackig. Erster Dreisitzer von Yamaha. Sicherheit, Praxistauglichkeit und Komfort stehen im Fokus. Gut nutzbare Motorleistung durch den drehmomentstarken Motor. Robustes Chassis für alle Geländeformen. Ladefläche im Europaletten-Format. Das war´s? Im Großen und Ganzen ja. Was Yamaha aber tatsächlich geleistet hat, um dem Viking das Beste mit auf den Weg zu geben, das dürfen wir uns endlich draußen anschauen. Nicht ein einziger Viking wartet dort auf eine ausführliche Geländetour, nein, eine ganze Horde von wilden Kerlen in unterschiedlichem Ornat will auf große Fahrt gehen. Aber vorher schauen wir doch noch einmal etwas genauer hin. Auffällig ist natürlich die Breite. Die drei Einzelsitze fordern Tribut. Allein der Fahrersitz ist verstellbar, dies aber recht umständlich mittels Schrauben. Die mittlere Rückenlehne ist etwas weniger steil, das bewirkt, das die Personen nicht unmittelbar mit den Schultern aneinanderstoßen. Nach außen sorgen feste „Boards“ für sicheren Halt, außerdem finden sich kleine Türen, die dafür sorgen, dass die Füße auch bei unruhiger Fahrt im Fahrgastraum verbleiben. Die Sitze selbst sind ausreichend bequem, bieten aber ansonsten keinen besonderen Komfort. Was nicht heißen soll, das die Möbel unbequem sind, aber ich hab schon besser gesessen. Im Fußraum ist auch bei voller Besetzung ausreichend Platz für insgesamt sechs Quanten. Soweit schon mal gut gemacht. Zusätzlichen Komfort liefert das Fahrwerk. Mit doppelten A-Arms rundum und relativ einfachen, aber umso wirkungsvolleren Dämpfern bleibt der Viking stets im angenehmen Bereich.
Satte 30 Zentimeter Bodenfreiheit und eine durchgängige Stahlplatte als Unterbodenschutz helfen über grobe Hindernisse hinweg. Das der Viking trotz dem erweiterten Platzangebot für Fahrer und Mitfahrer auch noch ein echter Lastesel ist, beweist die Tatsache, dass die Box im Heck eine Europalette locker aufnehmen kann. 272 kann die Ladefläche aufnehmen. Die Zuladung insgesamt beträgt 445 Kilogramm, bei voller Auslastung der Box sollten die drei mitfahrenden Personen im Schnitt nicht schwerer als 57 Kilo sein. Also drei von meiner Sorte müssten tatsächlich auf etwas Transportgut verzichten. Aber das ist OK, fährt man halt zweimal. Oder man nutz die serienmäßige Anhängerkupplung für einen Anhänger. Ebenfalls für mehr Komfort und leichte Handhabung sorgt die elektronische Servolenkung (EPS). Auch auf diesem Gebiet hat Yamaha mit der ersten elektrischen Lenkhilfe an einem ATV Pionierarbeit geleistet. Das aktuelle System ist deshalb ausgereift und ohne Tadel.
Automatisch wird die Unterstützung an den jeweiligen Fahrmodus 2WD oder 4WD angepasst. Auch bei zugeschalteter Differenzialsperre wird die Lenkkraft optimal angepasst. Somit ist also auch verraten, das der Viking selbstverständlich über Allrad und Diff.-Sperre an der Vorderachse verfügt. Der bärenstarke Grizzly Motor ist nicht kleinzukriegen. Deshalb war die Entscheidung, auch den Viking damit auf die Reise zu schicken, sicher recht einfach. Auch wenn Yamaha durchaus auch potentere Motoren aus den Regalen hätte ziehen können. Es soll da auch einige Schneemobile aus dem eigenen Hause geben, die locker als Organspender herhalten könnten. Zumal es in den 80er Jahren auch schon mal ein Yamaha Viking Snowmobil gab. Aber die Entscheidung ist gefallen und lässt zumindest die Hoffnung auf eine zeitnahe Modellergänzung. Zumindest verspricht Yamaha, den Motor vielfältig an den Einsatz im Viking angepasst zu haben. So wurde zum Beispiel das Verdichtungsverhältnis erhöht, das Nockenprofil verändert und der Auslass auf einen Kanal reduziert. In der Summe sollen Leistung und Drehmoment über den gesamten Drehzahlbereich erhöht worden sein. Offizielle Daten dazu gibt Yamaha leider nicht bekannt.
Auf nach Walhall
Endlich dürfen wir losbrettern. Foreman Clay Trollinger fährt voraus, er kennt die Tracks der Ranch wie seine Westentasche. Unfassbare 27.000 Hektar groß ist der Besitz, eine Handvoll Häuser und Hallen und eine eigene Landebahn für Kleinflugzeuge gehören dazu. Über das Gelände verstreut tummeln sich etwa 400 Kühe und noch mal so viele Jungtiere. Genau kann das keiner sagen. Die folgenden zwei Tage jagen wir mit den Vikings Clay hinterher, der es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht hat, uns ständig abschütteln zu wollen. An dieser Stelle mal ein offenes Wort. Es gab schon ähnliche Veranstaltungen, bei denen nicht unbedingt ausreichend Testfahrzeuge für jeden einzelnen Pressevertreter vor Ort waren. Also werden die Fahrzeiten aufgeteilt und zwischendurch werden die Fahrzeuge immer wieder gecheckt. Vorweg fährt dann auch meist ein Guide, der seine Gruppe zusammenhält und allzu übermütige Fahrer wieder einfängt. Nicht so dieses mal. Vorn gibt Clay Gas und das Rudel hat Mühe dranzubleiben. Alle halbe Stunde wartet er an einer Gabelung und lässt alle verlorenen Schafe wieder aufschließen. Der Hammer! Das Gelände ist auf den Bildern nur ansatzweise so atemberaubend wie in Wirklichkeit. Bilder im Kopf… Clay mutiert zu Hägar dem Schrecklichen, der seine Wickingertruppe auf Beutezug voranpeitscht. Nach einer Weile gewöhnt man sich an die Schlagzahl und rudert ohne Furcht im Fahrwasser des Anführers.
Unbemerkt und ohne spürbare Leistungseinbußen schrauben wir uns über weites Land von 1200 auf fast 2400 Höhenmeter. Die elektronische Einspritzung regelt den geringeren Luftsauerstoff optimal nach. Auf den Geländetrails, die im Normalfall ausschließlich von den hauseigenen Grizzly-ATV der Rancher befahren werden, stehen Bäume und Sträucher teilweise so eng, das wir nicht ohne Feindkontakt durchkommen. Teilweise findet unser Guide noch Pfade, wo mir die plattgewalzten Gewächse richtig leidtun. Aber ich muss dranbleiben, darf den Vordermann nicht aus den Augen lassen. Zum Glück verfügen unsere Testfahrzeuge noch nicht über Außenspiegel, die hätten keine zehn Minuten überlebt. Ich bin echt erstaunt, was die Viking alles ab kann. Armdicke Äste, die in die Fahrspur ragen, werden wie Streichhölzer geknickt. Zurückschnellendes Geäst verursacht schmerzhafte Striemen unterhalb des Kinnschutzes. Striemen hinterlässt das Gestrüpp auch an der Plastik-Rüstung des Viking, aber von Rissen oder Brüchen keine Spur. Echt wahr, an zwei Tagen heftigster Geländefahrt gab es an keinem Viking einen Schaden. Noch nicht mal ein Reifen musste gewechselt oder repariert werden. Ohne eine Aussage betreffend der Langlebigkeit machen zu wollen, aber was wir den Vikings in zwei Tagen angetan haben, werden diese im Kundenbesitz vielleicht in Monaten nicht durchmachen müssen.
Das EPS ist gut abgestimmt und lässt den Fahrer nicht völlig im Dunkeln über den gerade befahrenen Untergrund. Harte Stöße beim Klettern über Fels und Geröll werden zwar gefiltert, aber nicht weichgespült. Trotz der enormen Breite lässt sich der Viking richtig schön durch enges Geläuf zirkeln. Das CVT-Getriebe ist ebenso gut auf die zur Verfügung stehende Leistung des Einzylinders abgestimmt. Die Bedienung ist völlig easy, alle Schalter und Knöpfe sind ergonomisch angeordnet und fügen sich sauber in das extrabreite Frontpanel. Das Lenkrad dürfte ein paar Millimeter dicker sein, ansonsten passt im Cockpit wirklich alles. Der optisch ansprechende Digitaltacho soll auch nicht unerwähnt bleiben. Die Bremsanlage mit vier Scheibenbremsen macht einen ordentlichen Job. Richtig toll finde ich die Motorbremse, die den Viking in Abfahrten bis ca. 20 Grad Neigung ohne Hilfe des Bremspedals im Zaum hält. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man auch in einem guten alten Rhino sitzen. So ein lapidares Urteil wird dem neuen Viking aber nicht gerecht.
Raubzug erfolgreich
Yamaha hat sich viel Zeit gelassen, um im boomenden UTV-Bereich ein neues Modell vorzustellen. Erwartet haben viele sicher etwas anderes, aber der Viking kann in der Praxis voll überzeugen. Insbesondere die kombinierte Ausrichtung für den professionellen Einsatz und gleichzeitige Freizeitnutzung ist gelungen. Im Vergleich zu den UTV-Modellen anderer Anbieter kann der Viking seine besonderen Platzverhältnisse und seine Robustheit in die Waagschale werfen. Ob das ausreicht, sich auch in Europa zu behaupten, wird sich zeigen. In den USA wird der Viking aber ganz sicher im Markt räubern und so manchem Mitbewerber das Fürchten lehren. Es lässt sich allerdings auch nicht beschönigen, das der Raubzug des Viking auch Opfer fordert. Der Rhino, der uns die vergangenen neun Jahre stets ein guter Freund war, wurde von Odin an die Tafel von Walhall gerufen. Das Volk kann aber einen neuen Anführer bejubeln und wird mit den üblichen Folgen eines Machtwechsels leben müssen – der Griff in die Geldbörse wird größer als zuvor.
Text: Frank Meyer
Fotos: Frank Meyer, Matthijs van Roon